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Legasthenie als Lernschwäche betrifft viele Kinder und Jugendliche. Auch im Erwachsenenalter kann sie jedoch noch diagnostiziert werden, wenn sie zuvor unerkannt geblieben ist. Unter dem Begriff werden dabei verschiedene Lernschwierigkeiten zusammengefasst, die sich in der Regel auf den sprachlichen oder schriftlichen Bereich beziehen, oft aber auch mit weiteren Problemen assoziiert sind.
Wie sich eine Legasthenie bemerkbar macht und welche Möglichkeiten zur Therapie bestehen, zeigt der folgende Beitrag und wirft einen umfassenden Blick auf die Definition, die verschiedenen Formen, Ursachen und Symptome.
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Was ist Legasthenie?
Bei der Legasthenie, zu Deutsch „Wortblindheit“, handelt es sich um eine Lernschwäche, welche sich vor allem in Bezug auf die Lese- und Schreibkompetenzen der Betroffenen äussert. Der Begriff „Lese-Rechtschreibschwäche“ allein wird der komplexen zugrundeliegenden Störung allerdings nicht gerecht. Alternativ verwendet wird daneben auch der Begriff “Dyslexie”.
Obwohl die Legasthenie bereits seit vielen Jahren intensiv erforscht wird, sind ihre Ursachen weiterhin nicht eindeutig geklärt. Mehrere Entstehungstheorien bilden derzeit die Grundlage der wissenschaftlichen Betrachtung.
Oft hat eine Legasthenie schwerwiegende Folgen für betroffene Kinder, denn sie bemerken ihre individuellen Defizite im Vergleich zum Rest der Klasse meistens selbst, fühlen sich dumm und gehen in der Folge auch nicht gern zur Schule. Da für die schulischen Schwierigkeiten vor allem zu Beginn oft eine Erklärung fehlt, fallen die Betroffenen häufig auch durch störendes Verhalten auf.
Die Legasthenie geht zudem nicht selten mit AD(H)S (Aufmerksamkeitsdefizit-(Hyperaktivitäts-)Störung), Dyskalkulie (Rechenstörungen) oder motorischen Störungen einher. Eine frühzeitige Diagnose sowie eine bedarfsgerechte Förderung der betroffenen Kinder und Jugendlichen sind daher besonders entscheidend.
Definition und Einordnung
Legasthenie ist mehr als nur eine Schwäche im Lesen und Schreiben. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert diese als eine spezifische Lernstörung, die durch Schwierigkeiten in der korrekten und/oder flüssigen Worterkennung sowie durch schlechte Rechtschreib- und Schreibleistungen gekennzeichnet ist. Eine Reihe anderer Auffälligkeiten oder Störungen können ebenfalls mit der Legasthenie einhergehen und bedürfen weiterer Abklärung.
Formen der Legasthenie
Die Legasthenie wird synonym auch als Lese-Rechtschreib-Störung (LRS) bezeichnet und weiterhin in ihre drei Unterformen unterteilt. Sie kann isoliert nur das Lesen oder Schreiben, aber auch beides kombiniert betreffen und wird daher wie folgt unterteilt:
- Lesestörung
- Rechtschreibstörung
- Kombinierte Lese-Rechtschreib-Störung
Legasthenie – Ursachen
Eine Untersuchung, die klare Ursachen der Legasthenie umreisst, fehlt bislang. Es gibt allerdings verschiedene Theorien, die die Entstehung dieser Störung zu erklären versuchen. Diese Theorien schliessen sich dabei gegenseitig nicht aus, sondern ergänzen sich vielmehr. Bisher scheint die Lese-Rechtschreib-Störung multifaktoriell zu entstehen.
Zu den verschiedenen Ursachen, die der LRS zugrunde liegen können, gehören zum Beispiel genetische Faktoren. So erhöht sich das Risiko für das Auftreten dieser Störung bei Kindern, deren Eltern ebenfalls an einer LRS leiden oder litten. Hat ein Elternteil selbst eine LRS, so beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass auch das Kind diese entwickelt, 50 Prozent. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass Jungen häufiger betroffen sind als Mädchen.
Untersuchungen haben darüber hinaus gezeigt, dass sich die neurobiologische Verarbeitung bei Legasthenikern von der nicht betroffener Personen unterscheidet. Hierdurch kommt es zu verschiedenen Einschränkungen auf kognitiver Ebene, welche unter anderem auch mit der Legasthenie in Verbindung stehen. Beispielsweise sind hier eine veränderte Aufmerksamkeit, andere visuelle und auditive Verarbeitungen und das Arbeitsgedächtnis zu nennen.
In der Folge werden bereits die Vorläuferfähigkeiten für das Lesen und Schreiben, zu denen der Wortschatz, die Buchstabenkenntnis oder das phonologische Bewusstsein gehören, beeinflusst. Betroffene können also bereits im Vorschulalter erste Symptome zeigen. Spätestens in der fünften Klassenstufe, erfolgt in aller Regel die Diagnose.
Legasthenie – Symptome
Die Verdachtsdiagnose Legasthenie wird von betreuenden Personen, wie zum Beispiel Lehrern, häufig im Kindes- oder Jugendalter geäussert, weil die Betroffenen durch bestimmte Symptome und Verhaltensweisen im Klassenverbund auffallen. Nicht selten sind Legastheniker sogar die Klassenclowns oder stören das Unterrichtsgeschehen anderweitig. Bezeichnend für die Legasthenie im Speziellen sind aber die unterdurchschnittlichen Leistungen beim Lesen und/oder Schreiben.
Um eine genauere Klassifizierung vornehmen zu können, werden die typischen Symptome der Lesestörung von denen der Rechtschreibstörung abgegrenzt. Diese können also isoliert oder kombiniert auftreten. Typische Symptome einer Lesestörung sind unter anderem die folgenden:
- Beim Lesen von Worten treten viele Fehler auf.
- Die Zuordnung und das Einprägen von Lauten bereiten Schwierigkeiten.
- Einzelne Laute zu Worten zusammenzuziehen fällt schwer.
- Das automatisierte Lesen ist verlangsamt und bleibt fehlerhaft.
- Die Lesegeschwindigkeit ist stark verlangsamt.
- Das Gelesene wird schwer verstanden und kann kaum bis nicht wiederholt werden.
- Einzelne Worte werden durch ähnliche Worte vertauscht oder das Wort wird gänzlich ausgelassen oder geraten.
- Das Lesen erfolgt monoton.
Typische Symptome einer Rechtschreibstörung sind wiederum:
- Das Erlernen von Laut-Buchstaben-Beziehungen bereitet Schwierigkeiten.
- Verwechslung formähnlicher Buchstaben und klangähnlicher Laute.
- Einzelne Laute werden schwer herausgehört.
- Nicht lautgetreue Schreibweisen bereiten Schwierigkeiten.
- Häufige Schreibfehler, bei denen dasselbe Wort oft auch unterschiedlich falsch geschrieben wird.
- Das Einprägen der korrekten Schreibweise von Worten fällt schwer.
- Oft besteht eine unleserliche Handschrift.
Auffällig für die Lernschwäche ist, dass sich oben genannte Symptome auch dann nicht verbessern, wenn die Betroffenen vermehrt üben. Sehr häufig zeigen Kinder, die an der LRS leiden, auch andere Wahrnehmungsprobleme – sie sind unaufmerksam, motorisch unruhig und schnell frustriert. Oft leiden sie ebenfalls an einem geringen Selbstvertrauen, fühlen sich dumm oder inkompetent und werden von somatischen Begleiterscheinungen, wie Bauchschmerzen, Übelkeit oder Kopfschmerzen, geplagt.
Ganz wichtig bei der Legasthenie ist aber für alle Beteiligten folgende Tatsache: Kinder, die an einer LRS leiden, haben keine verminderte Intelligenz. Im Gegenteil! Häufig liegen bei den Betroffenen die Leistungen, vornehmlich im Fach Deutsch, weit unter dem allgemeinen Intelligenzquotienten, nicht aber in anderen Bereichen. Für die Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls der Kinder oder Jugendlichen ist es daher für Eltern, Therapeuten und vor allen Dingen für die zuständigen Lehrer unerlässlich, diese Tatsache immer im Bewusstsein zu behalten.
Legasthenie – Diagnose
Verschiedene Symptome können auf eine mögliche Legasthenie hindeuten. Oft bereiten die grundsätzlichen Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben auch in anderen Fächern Probleme, in denen diese Fähigkeiten essenziell sind. Dazu gehören vor allem Sachaufgaben in Mathematik oder Fremdsprachen. Im Verdachtsfall sollte eine ausführliche Diagnostik erfolgen, bei der vor allem auch organische Ursachen, wie Seh- oder Hörstörungen, sowie neurologische oder psychiatrische Erkrankungen ausgeschlossen werden müssen.
Die Feststellung einer möglichen LRS erfolgt durch verschiedene Fachpersonen und durch vom Kanton benannte Fachstellen (vorrangig für Personen bis zum Abschluss der Mittelschule oder einer Erstausbildung). Ersteres können Psychologen, eidgenössisch anerkannte Psychotherapeuten oder auch Logopäden sein. Zu den Fachstellen zählen unter anderem Kinder- und jugendpsychiatrische sowie schulpsychologische Dienste, Erziehungsberatungsstellen und die klinische Logopädie der (Kinder-)Spitäler. Die Diagnostik ist komplex und findet in der Regel über mehrere Sitzungen verteilt statt. Die Kosten können sich dabei auf mehrere Tausend Schweizer Franken belaufen. Abhängig von bestimmten Faktoren ist es aber möglich, dass sich die Grund- oder Zusatzversicherung an den Diagnosekosten beteiligt.
Sind andere Ursachen für die Schwierigkeiten beim Lesen oder Schreiben ausgeschlossen, erfolgt in der Regel eine gezielte Förderung für Legastheniker und Legasthenikerinnen durch Lehrer, Lerntherapeuten und Eltern für einen Zeitraum von etwa sechs Monaten, um spezifische Defizite herauszufinden und bei Schwierigkeiten konkrete Hilfestellung anbieten zu können. Im Anschluss findet ein standardisierter Leistungstest statt. Hat das betroffene Kind dann das Niveau gleichaltriger Klassenkameraden weiterhin nicht erreicht, ist eine Diagnose gemäss DSM-5 möglich (fünfte Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders).
Legasthenie – Therapie
Da die konkreten Ursachen der Legasthenie nicht abschliessend verstanden sind und weiterhin erforscht werden, stehen wenige ursachenbasierte Therapieansätze zur Verfügung. In den meisten Fällen erfolgen Interventionen daher symptombasiert. Dabei sind oft individuelle Pläne erforderlich, die sich an den spezifischen Bedürfnissen des betroffenen Kindes orientieren.
Dabei steht im Vordergrund, dass während der Förderung keine Unter- oder Überforderung stattfindet, denn Frustration in Bezug auf das Lernen besteht bei den Betroffenen häufig ohnehin schon. Die Förderprogramme für Legastheniker sollen dabei helfen, erfolgreiche Lernstrategien zu entwickeln und Lösungsansätze aufzuzeigen, die dem Kind helfen, sich selbst zu helfen. Dazu gehören zum Beispiel:
- Lerncoaching: Hierbei geht es darum, auf die speziellen Lernschwierigkeiten einzugehen und Blockaden zu lösen.
- Psychotherapie: Die Legasthenie führt bei Betroffenen sehr häufig zu psychischen Problemen, weil sie darunter leiden, dass „etwas mit ihnen nicht stimmt“. Angststörungen, Depressionen oder Mobbing führen daher oft zu weiterer psychischer Belastung. Bei der Psychotherapie geht es beispielsweise dann darum, die eigenen Stärken zu erkennen und Ressourcen zu mobilisieren.
- Ergotherapie: Hierdurch soll der Umgang mit den Einschränkungen verbessert werden.
- Elternberatung: Auch für die Eltern kann die Legasthenie des Kindes zu einer grossen Herausforderung werden. In der Elternberatung wird ihnen dabei geholfen, besser mit den Problemen ihres Kindes und den daraus entstehenden Schwierigkeiten umzugehen.
Viele weitere Ansätze, beispielsweise Bewegungs- oder Musiktherapie, können ebenfalls unterstützend wirken. Allen Therapieansätzen ist gemeinsam, dass sie eine intensive Förderung beinhalten, die zu einer sukzessiven Verbesserung der Lese- und/oder Rechtschreibkompetenzen führen sollen.
Prognose
Mithilfe spezifischer Förderprogramme erreichen Betroffene sehr oft gute Fortschritte. Meistens wird die Legasthenie allerdings nicht vollständig behoben, sodass Lese- und Rechtschreibprobleme oft bis ins Erwachsenenalter bestehen bleiben.
Dank moderner Therapieansätze und einem zunehmenden Bewusstsein bei Lehrern und Eltern, ist die allgemeine Prognose aber sehr gut. Entscheidend für den langfristigen Erfolg ist dabei vor allem auch die Motivation der Kinder, die besonders gut darauf reagieren, wenn ihnen verständnisvoll und bedürfnisgerecht begegnet wird.
Passende Jobs in der Therapie
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- Verband Dyslexie, Legasthenie, https://www.verband-dyslexie.ch/... (letztes Abrufdatum: 02.02.2024)
- Schiesser, J. (2019): Legasthenie, Eine Infobroschüre für Eltern, https://www.psychologie.uzh.ch/... (letztes Abrufdatum: 02.02.2024)
- Deutscher Bundesverband für Logopädie e.V., Lese-Rechtschreibstörung (LRS), https://www.dbl-ev.de/... (letztes Abrufdatum: 02.02.2024)
- Bundesverband Legasthenie & Dyslexie e.V., Wie kann man Legasthenie erkennen?, https://www.bvl-legasthenie.de/... (letztes Abrufdatum: 02.02.2024)
- Verband Dyslexie, Broschüre Legasthenie, https://www.verband-dyslexie.ch/... (letztes Abrufdatum: 02.02.2024)