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Kognitive Entwicklungstheorien können einen wichtigen Beitrag bei Fragen rund um das Wissen und den Wissenserwerb von Menschen sowie dessen Aufbau und Nutzung leisten. Sie bieten zum einen Erklärungsmodelle für das Verständnis von Entwicklungsphänomenen, zum Anderen werfen sie aber auch grundsätzliche Fragen über das Wesen des Menschen auf und regen somit die Motivation für neue Forschungen an.
Alles wichtige rund um die kognitive Entwicklung, Modelle und Entwicklungsverzögerungen liefert dabei der folgende Beitrag.
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Kognitive Entwicklung – Definition
Kognitive Entwicklung, auch „geistige“, oder „intellektuelle Entwicklung“ genannt, ist ein wichtiges Themenfeld der kindlichen Entwicklungspsychologie. Man versteht darunter die Herausbildung von zentralen Fähigkeiten des menschlichen Gehirns, mit denen Kinder ihre Welt, die Dinge und Lebewesen, andere Menschen und sich selbst, sowie ihre Beziehungen zur Welt erfassen, erkennen und verstehen lernen.
Die kognitive Entwicklung beginnt noch vor der Geburt und mündet in der Regel in lebenslange Lernprozesse. Eine zentrale Bedeutung nimmt dabei die Ausbildung der Intelligenz ein. Denken und Intelligenz bilden gemeinsam die sogenannten „kognitiven Stützfunktionen“, eine Trias aus Wahrnehmung, Gedächtnisleistung und Sprachbeherrschung. Konkret zählen zu den kognitiven Funktionen beispielsweise:
- Aufmerksamkeit
- Kreativität
- Sprache
- Abstraktes Denken (zum Beispiel vergleichen, orientieren, Problemlösung)
- Gedächtnis (Erinnerung, lernen)
- Handlungsplanung und Entscheidung
- Wahrnehmungsfähigkeit
- Wille
- Glaube
Auf der Basis dieser kognitiven Prozesse entstehen schliesslich mentale Ergebnisse wie Wissen, Einstellungen, Überzeugungen, Wünsche und Fantasien, die das Verhalten steuern können.
Kognitive Entwicklung
Die Entwicklungsschritte der kognitiven Entwicklung laufen grösstenteils zwischen dem zweiten und dem siebten Lebensjahr ab. Ein Kind lernt in dieser Zeit, seine Umwelt bewusst wahrzunehmen, mit dieser zu kommunizieren und auf diese durch Handlungen einzuwirken. Es gibt dabei unterschiedliche Theorien, wie genau sich die kognitiven Fähigkeiten bei Kindern entwickeln. Fest steht, dass die Entwicklung des Denkens ein vielschichtiger Prozess ist, der vor allem mit der Bewegungsentwicklung (Bewegung ist wie Nahrung für das Gehirn!) und der sinnlichen Wahrnehmung (Hören, Sehen, Fühlen, Spracherwerb) verknüpft ist.
Aber auch andere Faktoren üben Einfluss auf die kognitive Entwicklung von Kindern aus. Untersuchungen der jüngeren Vergangenheit belegen, dass der sozioökonomische Status der Eltern (insbesondere deren Bildung und die Bedeutsamkeit des Wohlstandes einer Familie) mit zu den wichtigsten Determinanten kognitiver Kompetenzen von Kindern zählt. Forscher gehen davon aus, dass wohlhabendere Eltern gesundheitsbewusster leben (und somit die physiologische Entwicklung des kindlichen Gehirns besser unterstützen), sowie ein bildungsanregendes Mikroklima schaffen (zum Beispiel durch pädagogische Angebote wie Musik), das für die Entwicklung förderlich ist.
Negativ auf die Entwicklung kognitiver Kompetenzen wirken sich demnach ein bildungsfeindliches Familienumfeld und prekäre sozioökonomische Verhältnisse aus. Aber auch gesundheitliche Elemente, wie Rauchen während der Schwangerschaft, spielen eine Rolle.
Ablauf kognitiver Entwicklung
Eine Entwicklung der kindlichen Kognition beginnt bereits im Säuglingsalter. Neugier, und der Wunsch nach Teilhabe führen „spielerisch“ zum Begreifen von ersten Zusammenhängen, die sich auf die imminente Umgebung des Kindes beziehen.
Mit Beginn des zweiten Lebensjahres beginnen Kinder dann, sich mit räumlichen Beziehungen auseinanderzusetzen und ihre räumliche Vorstellung zu entwickeln. Eine besondere Vorliebe gilt dem Ein- und Ausräumen von Behältnissen aller Art, sowie dem Aufeinanderstapeln von Gegenständen zu Türmen. Etwa zur selben Zeit entwickelt das Kind eine immer deutliche Vorstellung davon, wie Dinge funktionieren und wie es sie handhaben kann (beispielsweise sich mit der Bürste die Haare kämmen, allein mit dem Löffel essen).
Ab etwa anderthalb Jahren erkennen Kinder, dass Gegenstände gleich oder verschieden gross sein können und sortieren diese Gegenstände nun nach bestimmten Eigenschaften (zum Beispiel Form, Farbe, Material). Gegen Ende des zweiten Lebensjahres besitzen sie dann eine stabile innere Vorstellung von Gegenständen und Handlungen und sind in der Lage, sich diese ins Spiel „hineinzudenken“ (zum Beispiel wird ein Stöckchen zum Löffel oder ein Schuh zum Auto). Auch Ergebnisse von Handlungen können sie sich nun vorstellen, ohne diese praktisch ausprobieren zu müssen.
Im dritten Lebensjahr kennen Kinder schon den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung, können aber beides noch nicht voneinander unterscheiden. Das Denken ist Ich-bezogen, auch Zeitspannen und räumliche Grössenverhältnisse können noch nicht überblickt werden. Gleichzeitig wird das Denken zunehmend von der „magischen Phase“ bestimmt, in der viele alterstypische Ängste und Befürchtungen ihren Ursprung haben. Diese Phase dauert für gewöhnlich bis zum fünften Lebensjahr, kann aber in Einzelfällen auch darüber hinaus andauern.
Ab etwa vier Jahren entwickeln Kinder ein enormes Gedächtnis und legen auch einen unstillbaren Wissensdurst an den Tag. Einfache Mengen und Zeitbegriffe können verstanden werden, und sie beginnen, die Hintergründe ihrer Welt zu hinterfragen. Kinder können nun Grundfarben erkennen und benennen, sowie Formen und Längen sicher unterscheiden und vergleichen.
Ab dem fünften Lebensjahr können Kinder die Lösung einer Aufgabe mehr und mehr durchdenken, ohne sie konkret ausprobieren zu müssen. Dennoch orientiert sich das kindliche Lernen noch stark an eigener Erfahrung und eigenem „Tun“. Zwischen sechs und sieben Jahren wird dieses Denken dann zunehmend „logisch“, auch wenn es noch an das „Hier und Jetzt“ gebunden ist – die Kinder sind bereit für die Schule. Ab etwa zwölf Jahren unterscheiden sich die kognitiven Fähigkeiten der Kinder schliesslich kaum noch von denen eines Erwachsenen.
Kognitive Entwicklungsverzögerungen
Jedes Kind entwickelt seine geistigen Fähigkeiten auf seine Weise und in seinem eigenen Tempo. Es können jedoch auch Verzögerungen auftreten – zum Beispiel durch Krankheiten oder Vernachlässigung – die frühzeitig erkannt werden sollten, um eine optimale Förderung der Kinder gewährleisten zu können. Die gesetzlich verankerten kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen (U1 bis U9) sind dafür die wesentliche Voraussetzung.
Werden Auffälligkeiten festgestellt, können verschiedene Expertengruppen (Logopäden, Ergo- und Physiotherapeuten, Heilpädagogen, Psychologen) ein auf die genauen Bedürfnisse des Kindes abgestimmtes Förderprogramm erarbeiten. Aber auch Eltern können diverse Fähigkeiten, wie beispielsweise die Konzentration oder die Leistungsfähigkeit ihrer Kinder, mit einfachen Methoden fördern. Beispiele hierfür sind:
- Bilderbücher ansehen, vorlesen und kommentieren
- Materialien zum Entdecken und Experimentieren bereitstellen
- Erproben von Rollenspielen
- Tägliche Rituale einführen und feste Strukturen schaffen
- Regeln aufstellen und Konsequenz üben
- Das Kind ermutigen, eigene Ziele zu setzen und sich Herausforderungen zu stellen
Kognitive Entwicklung – Theorien
Kognitive Entwicklungsprozesse werden in verschiedenen wissenschaftlichen Theorien untersucht. Dabei gibt es keine allumfassende Theorie, sondern unterschiedliche Ansätze mit verschiedenen Schwerpunktsetzungen. Folgende Erklärungsmodelle haben sich dabei als bedeutsam erwiesen:
- Theorie der kognitiven Entwicklung (Stadientheorie) nach Piaget
- Sozio-kulturelle Theorie nach Wygotski
- Theorie des Kernwissens
- Informationsverarbeitungstheorie
Kognitive Entwicklung nach Piaget
Eine der einflussreichsten Theorien der kognitiven Entwicklung stammt vom Schweizer Forscher Jean Piaget (1896 bis 1980). Die Kernaussage seiner Theorie besteht darin, dass Kinder keine „kleinen Erwachsenen“ sind, die einfach weniger wissen. Stattdessen durchlaufen sie vier zeitlich und qualitativ voneinander abgrenzbare und aufeinander aufbauende Phasen, in denen sich ihre Denkstrukturen – ausgehend von den ersten Sinneserfahrungen und Anschauungen über das Handeln – bis hin zu einer zunehmend abstrakten Sichtweise auf die Welt entwickeln:
- Sensomotorische Phase
- Präoperative Phase
- Konkret-operative Phase
- Formal-operative Phase
Im sensomotorischen Stadium (Säuglingsalter) lernt das Kleinkind seine unmittelbare Welt mittels Sinneserfahrungen und Bewegungen kennen und entwickelt daraus ein vorbegriffliches Denken, mit dem es sich Handlungen und Bilder von Personen und Gegenständen innerlich vorstellen kann, auch wenn diese nicht präsent sind („Objektpermanenz“).
Im präoperativen Stadium (frühe Kindheit) eignet sich das Kind die Welt mittels Sprache an und lernt, dass Symbole für Objekte stehen können. Das Denken ist egozentrisch, die Umwelt wird „vermenschlicht“ und mit „magischen Überzeugungen“ erfüllt. Die Kinder können noch keine konkrete Logik verstehen, und haben Schwierigkeiten, Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Das Denken ist noch stark an konkrete Handlungen sowie die unmittelbar gegebene Anschauung gebunden.
Im konkret-operationalen Stadium werden die Denkprozesse reifer und erwachsener. Die Kinder beginnen, Probleme logisch zu lösen und entwickeln eine Reihe von Denkoperationen, mit denen sie sich die Welt systematisch erschliessen. Der Egozentrismus nimmt in diesem Stadium ab und die Kinder erlernen die Fähigkeit, aus der Perspektive Anderer zu denken.
Im formal (abstrakt-)operationalen Stadium (Jugendalter) sind Jugendliche zu hypothetischem und schlussfolgerndem Denken fähig. Sie lernen über abstrakte Konzepte nachzudenken und entwickeln zudem die Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion.
Kognitive Entwicklung nach Wygotski
Lew Wygotski (1896 bis 1934) formulierte eine Art „Gegentheorie“ zu Piaget, in der er untersuchte, welche Bedeutung der kulturelle Kontext, in dem Kinder aufwachsen, für die kognitive Entwicklung hat. Er ging davon aus, dass sich die vielfältigen Denkstrukturen eines Kindes durch den Austausch zwischen dem Kind und anderen Personen (mit Wissensvorsprung) ergeben. Diese Personen helfen einerseits dem Kind, sich mithilfe psychologischer Werkzeuge (Sprache, Zahlen- und Schriftsystem, Schemata) selbst zu formen, und geben ihm andererseits emotionalen Rückhalt und die Zuversicht, etwas schaffen zu können. Den inneren Denkhandlungen gehen dabei äussere Handlungen voraus.
Besondere Bedeutung erlangte Wygotskis Konzept der „Zone der nächsten Entwicklung“. Während die Zone der aktuellen Entwicklung diejenigen kognitiven Problemlösungen umfasst, die das Kind allein bewältigt, geht es bei der Zone der nächsten Entwicklung um das Potential eines Kindes, unter der Anleitung eines Erwachsenen oder anderen Kindes mit Wissensvorsprung ein geistiges Problem zu lösen – frei nach dem Leitsatz von Maria Montessori (1913): „Hilf mir, es selbst zu tun“.
Theorie des Kernwissens und Informationsverarbeitungstheorien
Heutzutage gibt es ausserdem die sogenannten domänenspezifischen Theorien: die Kernwissentheorie (Carey, Spelke) und die Informationsverarbeitungstheorien (Siegler, Case). Die Kernwissentheorie geht davon aus, dass Säuglinge mit bestimmten kognitiven Fähigkeiten auf die Welt kommen, welche es ihnen erlauben, domänenspezifische Wissenssysteme (zum Beispiel mathematisches Wissen, biologisches Wissen) auszubilden. Der weitere Wissenserwerb ist durch die kontinuierliche Erweiterung dieses „Kernwissens“ gekennzeichnet.
Die Informationsverarbeitungstheorien hingegen postulieren, dass Denk- und Lernprozesse in zeitlich und funktional untergliederten Teilprozessen stattfinden, die analog zur Datenverarbeitung im Computer verstanden werden können: Informationen werden über die Sinnesorgane aufgenommen, im Kurzzeitgedächtnis kontrolliert und zwischengespeichert, bevor sie in kodierter Form im Langzeitgedächtnis abgelegt werden. Dementsprechend wird die kognitive Entwicklung eines Kindes als eine zunehmende Erweiterung seiner Informationsverarbeitungskapazitäten begriffen.
Kognitive Entwicklung – Fazit
Zusammenfassend leisten kognitive Entwicklungstheorien einen wichtigen Beitrag zum Verständnis kindlicher Entwicklungspsychologie. Sie beleuchten Einflussfaktoren auf die Entwicklung von Denkmustern (Alter, Erfahrungen, soziokulturelles Umfeld, angemessene Förderung) und helfen Pädagogen, Bildungsangebote entwicklungsgerecht zu gestalten, eventuelle Entwicklungsverzögerungen richtig einzuordnen und ansprechende Fördermassnahmen zu erstellen.
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- Gerber, J. (2009): Frühförderung. In: Wild, E./Möller, J. (Hrgs.): Pädagogische Psychologie. Heidelberg: Springer, S. 383–403
- LMU – Ludwig-Maximilians-Universität München, Beate Sodian, LS Entwicklungs- und Pädagogische Psychologie, Theorien der kognitiven Entwicklung, https://www.psy.lmu.de/... (Abrufdatum: 04.01.2024)
- Kindergesundheit-info.de, Die geistige Entwicklung des Kindes, https://www.kindergesundheit-info.de/... (Abrufdatum: 04.01.2024)
- MusikGlück, Musikalische Aktivitäten und ihre Auswirkungen auf die kognitive Entwicklung von Kindern, https://musikglueck.de/... (Abrufdatum: 04.01.2024)
- Universität Graz, Christina Perissutti, Kognitive Kompetenzen und Einflussfaktoren des Sozioökonomischen Status der Eltern, https://unipub.uni-graz.at/... (Abrufdatum: 04.01.2024)
- Hasselhorn, M.: Möglichkeiten und Grenzen der Frühförderung aus
entwicklungspsychologischer Sicht. In: Zeitschrift für Pädagogik 56 (2010) 2, S. 168-177, https://www.pedocs.de/... (Abrufdatum: 04.01.2024) - Kita.de, Kognitive Kompetenzen erkennen und fördern, https://www.kita.de/... (Abrufdatum: 04.01.2024)