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Circa 200’000 Personen in der Schweiz haben eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS. Die Störung macht sich vor allem durch drei Kernsymptome bemerkbar: Aufmerksamkeitsstörung, Impulsivität und Hyperaktivität. Je nach Betroffenem können einige Symptome stärker, andere weniger stark ausgeprägt sein.
Im Alltag kann dies für die Betroffenen nicht nur negative Folgen haben, sondern auch vorteilhaft sein. So kann sich die Impulsivität auch als Spontanität oder die Flexibilität als Kreativität äussern und für die Betroffenen eine Ressource darstellen. Wie sich ADHS bei Erwachsenen genau zeigt, welche Symptome man typischerweise bemerkt und wie die Erkrankung klassifiziert wird, behandelt der folgende Artikel.
In Kürze
ADHS tritt in der Regel erstmals im Kindesalter auf. Die Symptome können die Betroffenen aber ein Leben lang begleiten und verschiedenste Situationen im Alltag beeinflussen. Jungen sind häufiger betroffen. Allerdings ist davon auszugehen, dass es bei Mädchen und Frauen eine hohe Dunkelziffer gibt, da sie seltener „auffällige“ Symptome aus dem Bereich der Hyperaktivität zeigen.
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Was ist ADHS?
ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) ist eine neurobiologische Störung, die durch Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität gekennzeichnet ist. Sie beginnt in der Kindheit und kann bis ins Erwachsenenalter bestehen. Betroffene haben oft Schwierigkeiten, sich über längere Zeit zu konzentrieren, Impulse zu kontrollieren oder mit motorischer Unruhe umzugehen.
Die genaue Ursache ist noch nicht vollständig geklärt, jedoch spielen genetische sowie Umweltfaktoren eine Rolle. ADHS kann den Alltag in Schule, Beruf und sozialen Beziehungen stark beeinflussen, weshalb eine frühe Diagnostik und eine individuelle Behandlung für die Patienten essenziell ist.
Klassifizierung
Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung wird in zwei Klassifizierungssystemen beschrieben: im „Diagnostischen und statistischen Manual psychischer Störungen“ (DSM-5) und in der „Internationalen Klassifikation der Krankheiten“ (ICD-11). Beide Einteilungen werden von Fachleuten verwendet, sie unterscheiden sich aber etwas in ihrer Beschreibung der ADHS.
Nach dem DSM-5 werden jeweils neun Symptome den Bereichen Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität zugeordnet. Dabei müssen für eine Diagnose bei Kindern bis 16 Jahren mindestens sechs Symptome vorhanden sein. Bei Kindern über 17 Jahren sowie bei Erwachsenen müssen mindestens fünf Symptome zutreffen, um ADHS diagnostizieren zu können. Der Beginn der Symptome soll vor dem zwölften Lebensjahr liegen. Im DSM-5 werden je nach Ausprägung der Symptome drei Typen unterschieden:
- Vorwiegend unaufmerksam
- Vorwiegend hyperaktiv/impulsiv
- Kombiniert
Die ICD-11 orientiert sich im Vergleich zu ihrem Vorgänger, der ICD-10, stärker an den Kriterien des DSM-5. Der Beginn der Erkrankung soll nach ICD-11 in der frühen bis mittleren Kindheit liegen, was in etwa dem Beginn nach DSM-5 entspricht. Die Symptome müssen für eine Diagnose seit mindestens sechs Monaten vorhanden sein und die Betroffenen klinisch bedeutsam im sozialen, schulischen oder beruflichen Bereich einschränken. Ausserdem müssen diese in zwei oder mehr Lebensbereichen aufgetreten sein. Nach ICD-11 werden bei der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung drei Subtypen unterschieden:
- Vorwiegend unkonzentriert
- Vorwiegend hyperaktiv-impulsiv
- Kombiniert
Unterschied ADS und ADHS
ADHS steht für die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung. Da manche Betroffenen, insbesondere Frauen und Mädchen, keine Symptome aus dem Bereich der Hyperaktivität zeigen, verwenden einige Fachleute den Begriff ADS, der eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung ohne Hyperaktivitätssymptomatik beschreibt. Auch in den Klassifikationssystemen ICD-11 und DSM-5 gibt es eine ähnliche Unterscheidung in Subtypen mit und ohne Hyperaktivität.
ADHS – Symptome
Die drei Kernsymptome Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität können für die Betroffenen zu Einschränkungen in ihrem Schul- oder Arbeitsalltag, in ihren sozialen Beziehungen und in ihrem allgemeinen Wohlbefinden führen.
Typischerweise äussert sich die Unaufmerksamkeit darin, dass die Betroffenen Schwierigkeiten haben, begonnene Aufgaben zu beenden. Oft passieren ihnen auch Flüchtigkeitsfehler, da sie Schwierigkeiten haben, sich über einen längeren Zeitraum zu konzentrieren. Darüber hinaus können Betroffene im Alltag vergesslich sein.
Widersprüchlich erscheint hier der sogenannte Hyperfokus, der bei Personen mit ADHS oft beschrieben wird. Dabei können sie sich über längere Zeit auf eine Aktivität so konzentrieren, dass sie teilweise die Zeit vergessen, ihre eigenen Bedürfnisse ignorieren und nur schwer die Aufgabe wechseln können. Ob Betroffene bei einer Aufgabe abgelenkt sind oder einen Hyperfokus erreichen, hängt oftmals von der persönlichen Relevanz und dem Interesse an der Aufgabe ab.
Von der Hyperaktivität sind Jungen und Männer dabei typischerweise stärker betroffen als Mädchen und Frauen. Bei Kindern zeigt sich dies oft als körperliche Unruhe in Form von Zappeln und Schwierigkeiten, zum Beispiel am Esstisch ruhig zu sitzen. Auch spielen diese Kinder oft ungern ruhig und ziehen wildere Spiele wie Laufen oder Klettern vor. Bei Jugendlichen und Erwachsenen äussern sich die Symptome aus dem Bereich Hyperaktivität etwas subtiler. Sie verspüren oft eine innere Unruhe und haben zum Beispiel Schwierigkeiten sich zu entspannen.
Die Impulsivität kann vor allem in sozialen Situationen wie dem Schul- oder Arbeitsalltag auffallen. Häufig platzen die Betroffenen mit einer Antwort heraus, ohne lange nachzudenken, oder unterbrechen Gespräche. Darüber hinaus können auch andere Symptome auftreten, wie zum Beispiel soziale Distanzlosigkeit, kognitive Beeinträchtigungen (etwa eine Lese- und Rechtschreibstörung) oder Schwierigkeiten in der emotionalen Regulation.
ADHS bei Erwachsenen
Auch Erwachsene können von ADHS betroffen sein, allerdings zeigt sich bei ihnen oftmals eine andere Symptomkonstellation als im Kindesalter. Die meisten erwachsenen Patienten zeigen zwar weiterhin Symptome der Unaufmerksamkeit, die Hyperaktivität spielt aber in der Regel eine kleinere Rolle. Viele zeigen weiterhin impulsive Verhaltensweisen, diese können sich im Erwachsenenalter allerdings auch abschwächen.
Für die Betroffenen entsteht der Leidensdruck auch dadurch, dass sie ihre Ziele im Berufs- oder Privatleben oft nicht erreichen können, da es ihnen in Teilen schwerfällt, planvoll vorzugehen oder Termine und Absprachen einzuhalten. Typisch sind bei Erwachsenen auch Desorganisation, da sie Schwierigkeiten damit haben, ihre Umwelt zu strukturieren. Dies kann sich dahingehend äussern, dass sie kein adäquates Zeitgefühl haben und häufig zu spät kommen. Wenn mehrere Aufgaben auf einmal zu erledigen sind, fällt es ihnen schwer, diese zu koordinieren, unangenehme Aufgaben werden oft auf später verschoben und auch Ordnung im Haushalt zu halten kann Mühe bereiten. Häufig werden Gegenstände wie Schlüssel oder Brille vergessen. Bei der selbstständigen Strukturierung des Alltags treten ebenfalls häufig Probleme auf.
Auch auf der emotionalen Ebene haben viele Betroffene noch als Erwachsene Schwierigkeiten. Einige leiden unter starken Stimmungsschwankungen, die sich negativ auf die Gestaltung von Beziehungen oder auch den Arbeitsalltag auswirken können. Als Nebendiagnose liegt bei einigen Betroffenen eine Depression vor. Eine Stressintoleranz kann ebenfalls auftreten. Unter Druck fällt es vielen Betroffenen schwer, strukturiert und kontrolliert zu handeln.
Durch die beschriebenen Symptome haben viele erwachsene Patienten auch Schwierigkeiten im sozialen Bereich und mit ihrem Selbstwert. Durch die Reaktionen ihres Umfelds haben viele das Gefühl, anders zu sein und nicht dazuzugehören. Dies kann sich in Selbstzweifeln, Schuldgefühlen und der Unfähigkeit, Erfolge mit den eigenen Fähigkeiten zu begründen, zeigen.

ADHS bei Frauen
Bei Frauen bleibt ADHS oft länger unentdeckt oder wird gar nicht erst diagnostiziert. Die Symptome bei ihnen sind oft unauffälliger und werden gerade bei Mädchen im Schulumfeld als weniger störend wahrgenommen. Sie sind eher verträumt, handeln und denken chaotisch und haben im Zusammenhang damit Schwierigkeiten, planvoll und strukturiert zu handeln. Auch empfinden betroffene Frauen oftmals Zustände von Anspannung oder Stimmungsschwankungen.
Da viele Studien mehrheitlich mit männlichen ADHS-Patienten durchgeführt wurden, ist unklar, inwiefern deren Ergebnisse auf betroffene Mädchen und Frauen übertragen werden können. Auch die Diagnosekriterien der Erkrankung sind primär auf männliche Patienten ausgerichtet, was die Diagnostik bei weiblichen Betroffenen erschwert.
Es gibt darüber hinaus Untersuchungen, die suggerieren, dass Patienten mit ADHS im Vergleich zur gesunden Kontrollgruppe ein grösseres Risiko haben, Teilnehmer von Verkehrsunfällen zu werden. Unter Medikation scheint sich dieses Risiko bei männlichen Patienten zu verringern, bei Frauen konnte dieser Zusammenhang nicht gefunden werden.
ADHS bei Kindern
Kinder fallen neben den Kernsymptomen oftmals aufgrund von schulischen oder sozialen Problemen auf. Sie haben häufiger Schwierigkeiten, ihre Gefühle zu kontrollieren. Viele zeigen neben den klassischen Symptomen auch aggressives Verhalten, geraten in Konflikte mit Mitschülern und hören nicht auf Erwachsene. Oft tritt ADHS auch gemeinsam mit anderen schulischen Schwierigkeiten wie der Lese-Rechtschreib-Schwäche oder Problemen beim Rechnen auf.
ADHS – Ursachen
Es wird davon ausgegangen, dass bei der Entstehung von ADHS verschiedene Faktoren zusammenspielen. Bis zu 80 Prozent der Ursache scheinen dabei die Gene auszumachen. Darüber hinaus spielen vermutlich auch neurobiologische Faktoren mit Veränderungen in bestimmten Hirnarealen, wie dem Kleinhirn und dem Frontallappen, der für Kontrolle und Steuerung des eigenen Verhaltens zuständig ist, eine Rolle. Auch Veränderungen von Neurotransmittern wie Dopamin und Noradrenalin scheinen die Erkrankung zu beeinflussen.
Die Umwelt kann sich ebenfalls auf die Entstehung von ADHS auswirken, beispielsweise durch Komplikationen vor oder während der Geburt oder durch Schwierigkeiten in familiären Beziehungen.
ADHS – Diagnose
Diagnostiziert wird ADHS anhand der ICD-10/11 und/oder der DSM-5. Um zu untersuchen, welche Symptomatik bei dem Patienten zutrifft, werden spezielle psychologische Testinstrumente genutzt. Diese sind allerdings allein nicht ausreichend für eine Diagnostik und müssen immer gemeinsam mit einer ausführlichen psychiatrischen und psychologischen Untersuchung bewertet werden.
Bei Kindern spielt auch die Befragung der Eltern und Lehrer eine wichtige Rolle. Seit 2023 gibt es den ADHS-Test 6-12, der speziell für Kinder von sechs bis zwölf Jahren erstellt wurde. Bei Erwachsenen kommt oftmals die Wender-Utah-Rating-Scale zum Einsatz, die sich vor allem mit der retrospektiven Erfassung der Symptome auseinandersetzt.
Besteht die Möglichkeit, dass andere Störungen vorliegen, kann ein strukturiertes Interview wie das Diagnostische Interview für Psychische Störungen (DIPS) durchgeführt werden, bei dem der Befrager den Patienten anhand eines Leitfadens zu Symptomen verschiedener psychischer Störungen befragt.
Auch die Untersuchung eines Neuropsychologen oder das Durchführen einer Intelligenztestung kann für eine Diagnose aufschlussreich sein, da Patienten mit ADHS hier einerseits charakteristische Befundmuster zeigen können und andererseits andere Problematiken wie eine Intelligenzminderung ausgeschlossen werden können.
ADHS – Behandlung
Die Entscheidung für oder gegen eine ADHS-Behandlungsmethode wird von den Patienten nach sorgfältiger Abwägung gemeinsam mit den behandelnden Psychiatern, Psychotherapeuten und Hausärzten gefällt. Sowohl persönliche Faktoren wie zum Beispiel der subjektive Leidensdruck als auch Umgebungsfaktoren und gegebenenfalls andere Diagnosen können dabei eine wichtige Rolle spielen.
In der Therapie der Störung gibt es mehrere Ansätze. Gerade bei leichten Fällen profitieren viele Patienten von einer Psychotherapie, beispielsweise einer Verhaltenstherapie. Auch eine sogenannte Neurofeedbacktherapie, die vor allem von Ergotherapeuten angeboten wird, ist möglich.
Darüber hinaus gibt es Medikamente, die die Symptome der Erkrankung lindern können, und vor allem bei mittelgradigen bis schweren Störungen zum Einsatz kommen. Bei der medikamentösen Therapie werden primär sogenannte Stimulanzien wie Methylphenidat (Ritalin) eingesetzt. Die Wahl der Medikamente für einen konkreten Fall hängt auch davon ab, welche weiteren Erkrankungen der Patient aufweist.
ADHS – Verlauf und Prognose
Da die Diagnose Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung noch verhältnismässig jung ist, hat sich das Wissen über die langfristige Entwicklung der Störung in den letzten Jahren geändert. In der Vergangenheit ging man davon aus, dass sich die ADHS-Symptome aus dem Kindesalter im Erwachsenenalter verflüchtigen. Heute ist klar, dass dies nicht immer der Fall ist.
Man geht davon aus, dass zwischen einem Drittel und zwei Dritteln der Personen auch im Erwachsenenalter weiterhin von der Störung betroffen sind. Dies ist sowohl für Betroffene als auch für Behandler wichtig, da auch erwachsene Patienten gegebenenfalls therapeutische oder medikamentöse Unterstützung brauchen, um ihren Alltag zu bewältigen.
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- Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), https://www.bundesgesundheitsministerium.de/... (Abrufdatum: 02.06.2025)
- Über ADHS, https://elpos.ch/... (Abrufdatum: 02.06.2025)
- Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, https://next.amboss.com/... (Abrufdatum 23.03.2025)
- Langfassung ADHS Leitlinie, https://register.awmf.org/... (Abrufdatum: 02.06.2025)
- ADHS, https://www.adhs.info/... (Abrufdatum: 02.06.2025)
- Leitlinien zu Diagnostik und Therapie, https://www.zentrales-adhs-netz.de/... (Abrufdatum: 02.06.2025)
- Intelligenzdiagnostik bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS,
https://econtent.hogrefe.com/... (Abrufdatum 02.06.2025) - Hupfeld, K. E., Abagis, T. R. & Shah, P., Living “in the zone”: hyperfocus in adult ADHD. In: ADHD Atten Def Hyp Disord 11, 191–208 (2019), https://link.springer.com/... (Abrufdatum 02.06.2025)
- ICD-11 in Deutsch – Entwurfsfassung, https://www.bfarm.de/... (Abrufdatum: 02.06.2025)
- Döpfner, M., & Banaschewski, T., Klassifikation von Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen in der ICD-11. In: Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (Vol. 50 Nr. 1, 51–53, Januar 2022), https://econtent.hogrefe.com/... (Abrufdatum: 02.06.2025)








